Die eigene Stimme als stärkste Waffe

Taucha. Thomas läuft auf dem Fußweg. Ein Auto hält neben dem Neunjährigen. Drinnen sitzt ein Mann und fragt nach dem Weg. Thomas schaut kurz, zuckt mit den Achseln, sagt schnell „Tut mir leid, ich kann ihnen nicht helfen, bitte fragen sie einen Erwachsenen“ und geht weiter. Plötzlich reißt der Mann die Autotür auf, rennt hinter dem Jungen her und ruft „Warte, bleib doch mal stehen“. Thomas schreit ganz laut, rennt weg, klammert sich an einen Erwachsenen und erzählt ihm, was passiert ist. „Sehr gut, genau so ist es richtig“, sagt der Mann, der eben noch ein vermeintlicher Kinderschänder war. Ist er aber nicht – glücklicherweise. Denn das Ganze ist nur eine Übung und der angebliche Kriminelle ein Sicherheitsausbilder.

„Ich biete Kurse für Menschen an, die in gefährlichen Berufen arbeiten, aber auch für Schüler und Eltern“, sagt Bernd Mattausch. Vergangene Woche probte er mit Kindern der Klasse 3b der Regenbogengrundschule Taucha den Ernstfall. „Ich bin klein, aber nicht wehrlos“ nennt sich das Sicherheitstraining, das in Zusammenarbeit mit der Polizeidirektion Westsachsen und der Kampfkunstschule Mattausch angeboten wird. Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden im Jahr 2008 in Sachsen 3053 Kinder Opfer von Straftaten. Zwar sind die Fälle von sexuellem Missbrauch bei Kindern rückläufig – „sie für das Thema zu sensibilisieren, ist dennoch wichtig.“ Dieser Meinung ist Sonja Kleine, dreifache Mutter, die den Termin arrangierte. An drei Tagen wurde in und vor der Jubisch-Sporthalle trainiert.

„Es geht darum, Kinder für Gefahrensituationen zu sensibilisieren“, so Bernd Mattausch. Eine Regel lautet dabei: Abstand halten. „Mindestens zwei Meter zu Fremden“, weiß Lisa. Fremd, so lernten die Grundschüler von Kriminalhauptkommissarin Nicole Salomon, sind Menschen, die nicht zur Familie gehören. „Natürlich sollt ihr nicht vor jedem wegrennen, da ist Bauchgefühl nötig“, erklärt sie. Befindet sich ein Kind jedoch in einer Gefahrensituation, gilt es, schnell zu handeln. Bernd Mattausch schlüpft dazu in die Rolle des Kriminellen und versucht, Kinder in ein Auto zu zerren. „Wichtig ist: Schlagt um euch, tretet den Fremden und schreit, so laut ihr könnt“, rät er den Schülern, bevor er jeden Einzelnen scheinbar entführt. Fast alle Kinder können sich losreißen. Nur mit dem Schreien – man glaubt es kaum – klappt es nicht bei allen. „Da existiert oft eine Hemmschwelle, dabei ist die Stimme die stärkste Waffe, die wir haben“, so Mattausch. Am Ende des dreitägigen Kurses wurden alle Kinder auf ihr Wissen geprüft.
Unterstützt wurde das Projekt von der Regenbogengrundschule und der Stadt Taucha.

Erschienen in der Leipziger Volkszeitung vom 4. Mai 2009.

2 Gedanken zu „Die eigene Stimme als stärkste Waffe

  1. Hallo! Ist ja witzig das ich das hier heute lesen, weil das genau das Thema war über das wir Heute beim Mittagessen geredet haben .
    Gestern sind an der Schule meines Sohnes(9) zwei Mädchen Sexuell angesprochen wurden. Wir haben darüber geredet und ich habe auch gesagt das niemals ein Erwachsener, Kinder nach dem Weg fragt. Man kann seine Kinder nicht genug aufklären.
    Schön das du das als Thema hast, danke!

    Grüße Bea

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