Eine Schlafende wird wachgeküsst


Im aktuellen Kundenmagazin der CG-Gruppe erschien mein nachfolgender Text zum künftigen Stadtviertel in Leipzig. Außerdem: Ein Text zur Diebstahlsicherung von Wohnungen und Häusern. Das CG-Magazin gibt es hier zum Download (PDF). Vielen Dank für die Beauftragung an die R.SI Markenkommunikation.

Mitten in der Leipziger Innenstadt liegt ein 11 Hektar großes Areal brach. Verwildert, mit eingefallenen Hütten und allerhand Unrat sieht es wenig einladend aus. Doch schon bald könnte die Gegend wach geküsst werden. Um zu zeigen, welch Schönheit in ihr steckt.

Gras wuchert über den einstigen Stadtstrand. Der Wind pfeift durch alte Lagerhallen. Halb geöffnete Türen geben den Blick frei auf Pappkartons und Schuttberge. Kaum zu glauben, dass sich das Areal mitten im Stadtzentrum Leipzigs befindet. In Sichtweite von Hauptbahnhof, Uni-Riese und Wintergartenhochhaus liegt eine riesige Fläche brach. Was vergessen scheint, wird demnächst wiederbelebt. Denn geht es nach der Aurelis, entsteht zwischen Hauptbahnhof und Berliner Straße schon bald ein neues Stadtviertel.

Die Gesellschaft verwaltet als ehemalige Tochter der Deutschen Bahn solche brach liegenden Flächen. „Wir haben die Aufgabe, das Gelände zu entwickeln“, sagt Sprecher Raik Packeiser und legt Wert darauf, dass das Unternehmen von Hochtief und dem Finanzinvestor Redwood Grove kein Projektentwickler sei. „Wir stellen die Baureife her, schaffen also Voraussetzungen, dass Investoren auf dem Gelände tätig werden können“, so Packeiser. Das Areal liege in exponierter Lage mitten in der Stadt, weshalb eine Entwicklung möglich und nötig sei. „So etwas lässt man nicht einfach brach liegen“, sagt der Sprecher. In Absprache mit der Stadt Leipzig würden Möglichkeiten gesucht, eine Mischnutzung aus Einzelhandel, Gewerbe und „eventuell auch Wohnen“ herzustellen, wie es Packeiser vorsichtig formuliert. Die Nähe zur Bahnstrecke sei beim Wohnungsbau kein Problem. „Das ist eine Frage der Bauausführung. Außerdem ist das ja auch ein Zeichen von Innenstadtnähe und ausgebauter Infrastruktur“, meint er. Zu näheren Details hält er sich noch bedeckt:„Es gilt, diverse Absprachen zu treffen, das wird auch noch eine Weile dauern. Wir gehen aber davon aus, dass wir an der Stelle eine hohe Attraktivität und Anziehungskraft herstellen können.“

Erreicht werden soll das vor allem durch so genannte Quartierplätze und die Integration naturnaher Flächen am Fluss Parthe in das Gesamtbild. Bereits im Oktober 2008 hatten die Aurelis und die Stadt Leipzig einen städtebaulichen Gutachter-Wettbewerb ausgelobt, um Ideen für die Entwicklung des Geländes zu sammeln. Gewonnen hatte damals das Architektur- und Planungsbüro ASTOC aus Köln. In Zusammenarbeit mit dem Leipziger Landschaftsarchitekturbüro bgmr entstand ein Entwurf, der durch verschiedene Aspekte überzeugte. „Es ging uns in erster Linie um die Ausrichtung der Bebauung zum Freiraum der Parthe und die Ansicht von der Bahnseite, wo eine signifikante Silhouette entstehen sollte“, beschreibt Oliver Hall, Büropartner bei ASTOC das Procedere. „Wir schlugen Bebauungsbänder parallel zur Bahn und eine feingliedrige Erschließung im Stimmgabelprinzip vor. Wichtigstes Element sind die Quartierplätze, um hier Aufenthaltsqualität zu schaffen und die Durchwegung vom Bahnhof zur Parthe attraktiv zu gestalten“, erläutert Hall. Die Schwierigkeit lag seiner Meinung nach in der Größe des zu entwickelnden Geländes. „Häufig wird versucht solche Areale in einem Zug zu entwickeln. . Bei über 100.000 Quadratmetern ist es aber klar, dass man funktionierende Abschnitte schaffen muss, die nicht als Rudiment erlebt werden“, sagt er. Darum sei überlegt worden, wie der vorhandene Raum mit einer Gesamtstruktur versehen wird, aber dennoch Stück für Stück bebaut werden kann. „Unser Ansatz ist , dass Erschließung und Freiraum mit den Entwicklungsstufen wächst, beginnend mit den Blöcken direkt am Bahnhof und einem der Quartiersplätze. Der aufwendige nördliche Anschluss mit Brücke über die Parthe wird erst gebaut, wenn klar ist, dass sich das Gebiet füllt“, so der Architekt und Stadtplaner.

Da das Gebiet durch seine unmittelbare Lage in der Innenstadt Leipzigs qualitativ hochwertig sei, habe ASTOC von Beginn an auch den Vorteil des Wohnens in der City unterstrichen. „Das war eine optionale Möglichkeit. In der Vertiefung der Gespräche hat sich bestätigt, dass dies durchaus sinnvoll ist. Wir haben dazu eine Form des Planungsrechtes mit der Stadtverwaltung diskutiert, die dies offen hält“, berichtet Hall. Entstanden sei ein koordinierender Bebauungsplan, der gewisse Bandbreiten festlege, in denen Änderungen möglich sind. „Damit wurde ein flexibles System erreicht, das in der Struktur aber ein starkes Gerüst darstellt, mit drei Bebauungsbändern entlang der Bahnstrecke . Der erste unmittelbar an der Bahn ist eher für die gewerbliche Nutzung geplant und soll einen Lärmpuffer schaffen. Für den Mittelstreifen sind als Übergang zum Wohnen Dienstleistungsfunktionen und am Bahnhofsausgang ein Hotel vorgesehen.

Besonders attraktiv und interessant wird das entstehende neue Stadtviertel durch die Einbeziehung der Parthe, die an dieser Stelle jahrzehntelang kaum zugänglich war. Das Konzept dafür wurde vom Leipziger Landschaftsarchitekturbüro bgmr erarbeitet. Die terrassenartige und einem Park ähnliche Gestaltung von den Gebäuden zur Parthe hin biete zum einen Versickerungsflächen für Oberflächenwasser, deren Begrenzungen auch als Sitzstufen genutzt werden können. „So entsteht entlang der Parthe ein neuer Grünraum, der etwa einen Hektar groß sein und als Park nutzbar wird“, sagt Carlo Becker, Gesellschafter der bgmr. Das Büro erarbeitet regelmäßig Konzepte zur besseren Erlebbarkeit der Parthe. „Hier bietet sich eine gute Möglichkeit, den Fluss in den urbanen Stadtraum zu integrieren, auch wenn die Parthe nicht im eigenen, sondern einem gebauten Flussbett fließt“, so Becker. Seinen Informationen zufolge hat dieses Konzept bei der Stadt Leipzig und der aurelis einen breiten Konsenz gefunden. „Was die zeitliche Schiene angeht, hängt von der baulichen Nachfrage und Investorensuche ab. Fakt ist bislang: Wenn gebaut wird, wird auch der geplante Freiraum und die Integration der Parthe realisiert“, sagt er.

Besonders erfreut darüber ist Andreas Gumbrecht, Geschäftsführer des Zweckverbandes Parthenaue. „Die Zugänglichmachung der Parthe bedeutet eine Aufwertung des Innenstadtbereiches und des Wohnumfeldes“, sagt er. Und er geht noch weiter: „Ich glaube, für den gesamten Nordosten der Stadt ist dies interessant. Die kleine grüne Fläche im urbanen Umfeld bietet einen Rückzugsort. Natürlich bleibt die dichte Besiedlung, aber durch die Neugestaltung des Areals wandert die grüne Achse immer weiter nach Leipzig“, sagt Gumbrecht, der hofft, dass nun noch mehr geschieht. „Vielleicht sind wir schon in fünf Jahren ein wenig weiter, die Parthe vom Bahngelände bis zur Pfaffendorfer Straße wieder erlebbar zu machen“, erklärt er. Ziel sei es, ähnlich dem Karl-Heine-Kanal „Wasser und Natur in die Stadt zu holen“, wie er es ausdrückt.

Im Herbst sollen die Pläne der Öffentlichkeit vorgestellt werden. „Derzeit erstellen wir einen Bebauungsplan in Absprache mit dem Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau“, informiert Bärbel Winter vom Stadtplanungsamt. Nach der Ämterbeteiligung soll die Bürgerbeteiligung folgen. „Wir wollen frühzeitig informieren und erwarten eigentlich nur positive Rückmeldungen. Immerhin verschwindet eine Brachfläche, die Parthe wird wieder zugänglich gemacht, es entstehen Grünflächen“, zählt Winter auf.

Bis es soweit ist, wird noch einige Zeit vergehen. So lange darf das schöne Dornröschen weiter schlafen und davon träumen, wach geküsst zu werden.