Lintec: Einmal Börse und zurück – Vom Aufstieg und Fall einer Vorzeigefirma

Renate LindemeyerTaucha. Sie hätte das nicht tun müssen. Aber sie wollte es, das merkte man Renate Lindemeyer an. Am Dienstagabend erzählte sie auf Einladung des Kunst- und Kulturvereins Taucha (KuKuTa) vom rasanten Aufstieg und dem schleichenden Fall jenes Unternehmens, das sie kurz nach der Wende mit aufgebaut hatte: Lintec.

„Nobody knows you, when you’re down and out“ – der Klassiker aus den 30er Jahren von Bessie Smith, den die Band Spätlese zu Beginn der „Blauen Stunde“ im Café Esprit zum Besten gab, war passend. „Keiner kennt Dich, wenn Du pleite bist“ heißt der Titel übersetzt. Pleite ist sie allerdings nicht, auch wenn das viele nach der Insolvenz des einstigen Börsenstars glauben. Wohl auch darum berichtete Renate Lindemeyer dem Publikum im Gespräch mit Moderator Roman Knoblauch erstaunlich locker und unterhaltsam von ihrem gelebten Traum. Ein Traum, den sie vor allem ihrem Mann Hans Dieter Lindemeyer zu verdanken hat, der „im Kopf mindestens ein halbes Jahr voraus war und Dinge erahnt hat“, wie die heute 52-jährige sagte. „Diese Gabe ist beneidenswert, dafür habe ich ihn immer bewundert.“

Angefangen hat alles im März 1990. Lindemeyer, der Diplommathematiker, wollte bereits zu DDR-Zeiten auf eigenen Beinen stehen, als Programmierer sein Geld verdienen. Nach der Wende lernte er schnell, dass der Softwaremarkt bereits erschlossen und aufgeteilt war. „Partner aus Gladbeck haben uns geraten, die Software zusammen mit Hardware zu verkaufen. Anfangs liehen sie uns sechs Computer, mit denen wir durch die Lande zogen und Betrieben noch vor der Währungsunion die moderne Technik schmackhaft machten“, so Renate Lindemeyer. Die erste Rechnung schrieben sie an das VEB Getriebewerk Leipzig. „Vier Computer zum Stückpreis von knapp 11000 Mark der DDR plus Monitore und Kleinkram machten einen Gesamtpreis von 120448 Mark. Und in diesen Größenordnungen ging das dann weiter. Unser Glück war, dass die ehemaligen Staatsbetriebe einen Geldtopf hatten, den sie bereitwillig ausgaben, weil keiner wusste, zu welchem Kurs in die D-Mark getauscht wurde“, sagte sie. Zwei Monate nach Firmengründung machte das Ehepaar Lindemeyer die erste Million Umsatz. Die zweite Million folgte sechs Monate nach Einführung des Westgeldes. Neben Taucha sorgten Niederlassungen in Arnstadt und Halle für ordentlich Umsatz.

Kurz nach der Wende ahnte Hans Dieter Lindemeyer, was sich später bestätigen sollte: PC-Händler schossen wie Pilze aus dem Boden. Der Unternehmer handelte, agierte ab sofort nur noch als Großhändler und hatte all die kleinen neuen Händler als seine Kunden. Renate Lindemeyer kümmerte sich als Personalchefin um eine klare Struktur der Abteilungen, war zudem für das Controlling und die Buchhaltung zuständig. „Das Jahr 1992 war eines der besten. Wir hatten ein stetiges und steiles Wachstum. Angst vor der Zukunft hatten wie nie, im Gegenteil, wir haben uns immer darauf gefreut. Ab und zu musste ich meinen Mann mal stoppen, ihn daran erinnern, dass wir bodenständig bleiben sollten. Das war ein gutes Geben und Nehmen, privat wie auch geschäftlich. Wenn einer Opfer bringen musste, dann waren das meine Kinder. Dafür würde ich ihnen heute noch öffentlich danken.“

Der erste Rückschlag folgte 1999. Ausgerechnet, als es um die Wandlung Lintecs in eine Aktiengesellschaft ging, erlitt Renate Lindemeyer einen Schlaganfall. „Ich konnte die erste Zeit danach weder sprechen noch kaufen. Die rechte Hand war nahezu tot. Aber ich wollte das nicht akzeptieren, nicht mit 43. In 15 Monaten Rehabilitation habe ich alles wieder hergestellt, auch wenn ich seitdem Konzentrationsschwächen habe, nicht mehr Skifahren oder Tennis spielen kann.“ Doch bereits während der Reha spürte sie, dass sich Lintec zu schnell und zu stark verändert. „Beinahe jeden Tag las man von einem neuen Zukauf. Als ich wieder arbeiten konnte, hatte jeder ranghohe Angestellte einen Firmenwagen. Das war nicht schlimm, das Geld war ja da. Aber ich merkte, dass die Bodenständigkeit während meiner Abwesenheit verloren ging“, erinnerte sie sich. Nach dem Börsengang fing das Schiff endgültig an zu trudeln, wie Lindemeyer es ausdrückte. „Das Kerngeschäft wurde vernachlässigt. Die kleine Tauchaer Firma wurde vernachlässigt, der unternehmerische Alltag war nicht mehr unter Kontrolle. Die Presse bezeichnete uns als Weltkonzern, uns gehörten unzählige Firmen wie Pixelnet und Photo Porst – allein dort waren es hunderte Filialen.“ Trotzdem ging es einige Jahre weiter bergauf, wenngleich der steile Anstieg vorerst gestoppt war.

Am 28.11. 2002 – markante Zahlen habe Lindemeyer verinnerlicht, wie sie sagt – kam der nächste Dämpfer. Hans Dieter Lindemeyer eröffnete seiner Frau, dass die private Beziehung zu Ende sei. „Er hatte eine neue Frau und als ich ihn fragte, was an ihr besser war, meinte er: ‚Nichts, sie ist genauso toll wie Du.‘ Das tat am meisten weh.“ Erklären konnte sie es sich nie. Ende 2003 kam dem Firmengründer wohl wieder eine Vorahnung – und stieg aus seinem eigenen Unternehmen aus. Thomas Goletz wurde neuer Vorstandsvorsitzender. Mit ihm arbeitete Renate Lindemeyer eng zusammen. „Allerdings recht einseitig. Wir haben zwar Probleme besprochen, eine Umsetzung gab es meist aber nicht. Obwohl ich die hätte einfordern können, ich war bis 2005 Hauptaktionärin. Auf die Idee, dass ich diese Postition dazu hätte nutzen können, um die Führung zu übernehmen, bin ich nie gekommen. Das war ein Fehler, den ich mir heute eingestehen muss. Nach einer drohenden Insolvenz im Jahr 2005 kam ein Investor. Lindemeyer wurde erst einen Großteil ihrer Anteile los, im Februar 2007 ihren Job. Gegen die Kündigung klagte sie und gewann. Später folgte die zweite Kündigung. Auch gegen diese klagte und gewann sie – am 1. April 2008. Sieben Tage später meldete Lintec Insolvenz an.

Auf die Frage, wie es ihr jetzt gehe, sagte Renate Lindemeyer kürzlich zu ihrer Mutter: „So lange ich noch zehn Rennpferde habe, kann es mir nicht schlecht gehen.“ Derzeit besitzt sie sieben. Und bis zur Rente komme sie auch noch gut durch.

Erschien in kürzerer Form am 7. Juni 2008 in der Leipziger Volkszeitung.