Vergeben, vergessen, löschen

Wenn die eigene Arbeit Früchte trägt, man bei Kollegen und Lesern „erkannt“ wird, einem Aufträge angetragen werden, weil Kollegen und Kunden wissen, dass dies genau das Richtige für einen ist, dann macht das einen Journalisten stolz. Mich eingeschlossen. Ebenso, wenn positive Rückmeldungen der Leser oder des direkten Auftraggebers bzw. Redakteurs kommen. So etwas gibt Kraft. Etwa wie die zahlreichen Dankes-Mails und Anrufe, die ich seit Oktober bekomme, weil ich Unternehmer offenbar gut vor den gelben Abzockern warne oder zumindest Neues berichte.

Stefan Niggemeier kennt das Gefühl sicher auch. Und ich kann es gut verstehen, wenn er es „ein gutes Gefühl“ nennt, wenn „die eigene Arbeit Wirkung zeigt“. Trotz allem bin ich mir nicht sicher, ob der Anlass diesmal wirklich geeignet ist.

Konkret geht es in Stefans Blogbeitrag um einen BILD-Journalisten, der vor zwei Jahren einen fremden Artikel als seinen eigenen ausgab. Das BILDblog berichtete darüber und nannte auch den Namen des Kollegen. Der Journalist arbeitet nun frei und hat offenbar Probleme, Aufträge zu bekommen, da er in jedem Gespräch auf den BILDblog-Eintrag angesprochen wird. Folglich bat er Stefan Niggemeier um Löschung seines Namens.

In seinem langen Artikel wägt Niggemeier das Für und Wider ab, erklärt ähnliche Fälle und schreibt am Ende des Textes:

Eine grundsätzliche und allgemeingültige moralische Antwort, wie mit Löschwünschen zu verfahren sei, habe ich nicht. Wenn man weder gnadenlos sein noch seine Arbeit pauschal mit einem Verfallsdatum versehen will, bleibt wenig übrig, als sich in jedem einzelnen Fall ein Urteil zu bilden, das einem gerecht erscheint.

Im Fall des ehemaligen „Bild”-Journalisten vom Anfang haben wir uns dafür entschieden, seinen Namen nicht zu löschen.

Ich gebe Stefan insofern recht, als dass er schreibt, man müsse sich in jedem einzelnen Fall ein Urteil bilden. Und im Fall des BILD-Journalisten hätte ich mich dafür entschieden, seinen Namen zu löschen. Warum? Der Fall liegt zwei Jahre zurück. Der Sachverhalt, nämlich dass bei BILD offenbar Texte ohne Kontrolle durch eine wie auch immer geartete Instanz geprüft werden, hat auch ohne Nennung des Namens Relevanz. Und der Journalist will weiter als solcher arbeiten. Seinen Fehler hat er wohl nicht zugegeben oder sich gar dafür entschuldigt, zumindest nicht in der Mail an Niggemeier. Die öffentliche Zurschaustellung und die ständige Möglichkeit, dass ihm bei ähnlichen Fehlern wieder ein solcher Pranger droht, sind allerdings groß.

Vor einiger Zeit berichtete ich hier von Unternehmen, die ungefragt bei Menschen in ganz Deutschland abbuchen, weil sie sich angeblich für eine Leistung registriert hatten. Viele bemerkten die Abbuchungen, ließen das Geld zurückbuchen und bekamen daraufhin Post von einem Anwalt. Jenen Anwalt ließ ich zum einen hier zu Wort kommen, zum anderen stellte ich sein Treiben und seine offenkundige Naivität, das Richtige zu tun, an den Pranger. Im Nachhinein bescheinigte er mir einen fairen Umgang mit seiner Person. Persönlich und beruflich war für ihn allerdings der Ofen aus. Nachdem die betrügerischen Machenschaften seines Mandanten bekannt wurden, verlor er diesen Auftrag. Und bekam, weil sein Name im Internet verbrannt war, keine neuen Aufträge mehr. Bewerbungen bei Unternehmern blieben unbeantwortet oder im Bewerbungsgespräch fiel sofort dieser eine Sachverhalt – mit entsprechendem negativem Ausgang.

Ich habe mich damals auch gefragt, ob mich das stolz machen sollte. Natürlich ist es ein gutes Gefühl, wenn man weiß, man hat geholfen, eine Sache aufzuklären. Immerhin wussten damals viele Betroffene nicht, ob es diesen Anwalt tatsächlich gibt. Hier fanden viele überhaupt erst Antworten auf ihre Fragen. Und für viele ging die Geschichte glimpflich aus, sie wurden nicht wieder belästigt und die angeblichen Forderungen fallen gelassen. Darum entschied ich mich damals auch, nach einem klärenden Gespräch mit besagtem Anwalt in Anwesenheit meines Anwaltes, seinen Namen aus den Artikeln (und Kommentaren) zu entfernen.
Natürlich entspricht das nicht dem Wesen eines Blogs und natürlich gibt es nach wie vor weitere Stellen im Netz, an dem der Sachverhalt nebst Name auftaucht. Allerdings war mein mir selbst auferlegter Auftrag erledigt, ich hatte geholfen, den Betroffenen eine Richtung zu geben und ihnen erste Infos zukommen zu lassen, die sie sonst nicht hätten. Ich bin, wie Stefan Niggemeier das auch schreibt, nicht verpflichtet, solch einem Menschen bei der Resozialisierung zu helfen. Trotz allem habe ich mich in besagtem Fall dafür entschieden. Inzwischen habe ich die Artikel komplett gelöscht, weil der Fall vorbei ist und die Hintermänner verurteilt.

Mich hat der Anwalt damals gefragt: „Muss ich ein Leben lang dafür büßen, dass ich einmal einen Fehler gemacht habe?“ Das ist eine gute Frage. Büßen muss er, wenn überhaupt, nur vor sich selbst. Er muss sich den Rest seines Lebens den Vorwurf machen, mit besserer Vor-Recherche über seinen Mandanten ziemlich schnell auf dessen Machenschaften gekommen zu sein. Er muss damit leben, dass teilweise systematisch Konten von Menschen leergeräumt wurden, die dann ihre Miete nicht mehr zahlen konnten. Einen Zustand, den der Anwalt laut eigenem Bekunden mittlerweile selbst gut kennt. Weil der digitale Radiergummi nur bedingt wirkt.

Man kann Stefan Niggemeiers Handeln verurteilen, ihn beschimpfen, wie Robert Basic das tut. Trotz allem finde ich, dass er Recht hat, wenn er sagt, dass man sich in jedem einzelnen Fall ein Urteil bilden muss, das einem gerecht erscheint. Stefans Urteil kann ich nachvollziehen. Auch wenn ich anders gehandelt hätte.

4 Gedanken zu „Vergeben, vergessen, löschen

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