Gerüchte, Übertreibungen, Falschmeldungen

Ich muss diese Geschichte hier mal etwas erweitern. Aber zuerst zum Anfang: Am Sonntag vermeldete die Financial Times, führende europäische Videospielunternehmen würden eine neue Branchenmesse befürworten. Autor Arndt Ohler schreibt:

Die beiden rivalisierenden Videospielemessen in Leipzig und Köln könnten bald weitere Konkurrenz bekommen. Nach FTD-Informationen befürworten führende europäische Videospielunternehmen ein Konzept für eine stark auf ganz Europa ausgerichtete Leistungsschau.

„Es gibt solche Bestrebungen“, bestätigte ein europäischer Topmanager. „Das Thema wird jetzt vom europäischen Verband aufgegriffen“, so der Manager unter Verweis auf die Interactive Software Federation of Europe mit Sitz in Brüssel. Allerdings sei eine derartige Veranstaltung frühestens im Jahr 2010 denkbar.

Der Rest des Artikels sind bekannte Fakten – und damit endet auch die eigentliche Neuigkeit. Ohler beruft sich auf den Informantenschutz, was sein gutes Recht ist und bestätigte auf meine telefonische Nachfrage den Fakt.

Nach dieser Meldung rumpelte es gewaltig in der Medienszene, das große Rauschen setzte ein. Viele schrieben ab, ohne selbst zu recherchieren. Wie schon bei Medienrauschen beschrieben, rief ich im Auftrag von saxxess.com bei der Interactive Software Federation of Europe in Brüssel an. Dort sagte mir Jürgen Bänsch:

„Wir haben noch nie eine Videospielmesse organisiert und werden das wohl auch in zehn Jahren nicht tun. Es gibt hier nur drei Top-Manager, einer davon bin ich, und wir können uns nicht erklären, wie solch eine Meldung zustande kommt. Natürlich diskutieren wir immer wieder neue Ideen. Bislang gibt es in dieser Hinsicht aber weder Ansätze noch Planungen. Der Bericht ist reine Spekulation.“

Natürlich ist dies kein Beweis dafür, dass die FTD-Meldung falsch ist – immerhin gibt es gerade bei solchen Vereinen und Verbänden immer Leute, die mehr wissen als die anderen. Allerdings hätte jeder Journalist sehr leicht eben dieses Zitat bekommen können, um seine Geschichte über die dritte Videospielmesse anzureichern.

Stattdessen wurde kopiert nur zitiert. Spiegel Online tat dies beispielsweise. Oder golem.de, wo man immerhin scheibchenweise Updates nachlieferte und sich bei den beiden deutschen Verbänden BIU und G.A.M.E. umhörte. Auch bei heise waren offensichtlich die Telefone kaputt.
Ganz schlimm einige Spielewebsites. Giga.de beschränkte die Meldung auf wenige Sätze, forderte aber sogleich Meinungen ab.
Gameports hat die Sache komplett nicht verstanden und schreibt Unsinn:

Die „Interactive Software Federation of Europe“ plant angeblich nun sogar eine dritte Spielemesse, die ebenfalls in Deutschland stattfinden soll.
Das berichtet die „Financial Times Deutschland“ (FTD) in ihrer Online-Ausgabe unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten Funktionär eines europäischen Spieleherstellers.

Woher Gameports die Info hat, die Messe solle in Deutschland stattfinden, wissen wohl nur die dortigen Kollegen. Vielleicht war ja noch Satz im Kaffee.
Gameswelt.de übertreibt maßlos und schreibt von einer „riesigen“ Spielemesse und setzt das Adjektiv in Anführungszeichen – grad so, als sei dies ein Zitat von irgend jemandem.Im Text ist dann auch von einer „Mega-Messe“ die Rede.

Den Vogel schießt aber it-business.de ab. So schreibt Kollegin Heidi Schuster nicht nur, dass es bereits ein Konzept gebe, sondern zitiert auch nicht näher genannte „Medienberichte“, die besagen würden, die neue Messe würde nur den Handel und Journalisten adressieren. Woher sie ihre Weisheit nimmt, bleibt ihr Geheimnis.
Dann wird es komplett abstrus:

Die Games Convention in Leipzig war bisher die einzige Spielemesse in Deutschland. Seit ihrer Gründung wurden unter anderem die US-Spielemesse Electronic Entertainment Expo (E3) eingestellt als auch die europäische Spielemesse ECTS, dem Mittelpunkt der London Gamesweek, die unter anderem auch die Entwicklerkonferenz Game Developers Conference Europe sowie Sonys Verbraucherveranstaltung PlayStation Experience umfasste.

Das Ende der ECTS quasi indirekt auf die Etablierung der GC zu schieben, mag schmeichelhaft sein für die Leipziger Messe, allerdings dürften eher Streitigkeiten im eigenen Land die Folge gewesen sein.
Und was Heidi Schuster dazu bewogen hat, eine Falschmeldung über das Ende der E3 nach Jahren nochmal zu verbreiten, wüsste ich gern. Die E3 ist nicht tot, wenngleich sie sich auch über die Jahre gewandelt hat. Als tot kann man höchstens das einstige Konzept bezeichnen.

Außerdem scheint Kollegin Schuster ein Problem mit ihrem Kalender zu haben. Über die etablierte Games Convention in Leipzig und Branchenneuling Gamescom in Köln schreibt sie:

Jetzt buhlen die beiden Veranstaltungsorte um Aussteller und Besucher, da Leipzig die Messe Games Convention unter eigener Regie fortführen will und Köln die Gamescom im Sommer 2009 veranstaltet. Beide Messen finden zudem fast zeitgleich statt.

„Fast zeitgleich“? Zur Erinnerung: Die GC in Leipzig findet vom 19. bis 23. August statt – und die Gamescom in Köln vom 19. bis 23. August. Na, merken Sie was?

Ehrlich gesagt – die schludrige und gedankenlose Arbeitsweise einiger Kollegen beunruhigt mich mehr als der Fakt, dass durch die Streitigkeiten zwischen Leipzig und Köln wirklich noch eine dritte Messe kommen könnte. Anhaltspunkte dafür gibt es bislang nur wenige.